Schülersprecher fordern mehr Demokratie

Rhein-Zeitung: Schüler wollen die Lehrer duzen

Schülersprecher fordern mehr Demokratie
Schüler wollen die Lehrer duzen

Rheinland- Pfalz - Die Schüler im Land wollen ihre Lehrer duzen. Das ist eine der Forderungen der etwa 120 Sprecher der Gymnasien und Gesamtschulen in ihrem Abschlusspapier der 44. Landeskonferenz. Die informelle Anrede "Du" muss auch an den weiterführenden Schulen Standard sein, heißt die Aufforderung der Schüler an die Lan­despolitiker.

"Es gilt, eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen Lehrern und Schülern aufzubauen und die durch das Sie künstlich geschaffene Distanz abzubauen." Gegenseitige Anerkennung und Respekt lassen sich nach Auffassung der Schüler nicht durch Autorität schaffen. Lehrer­verbände reagieren skeptisch auf die Duz- Forderung.

Felix Martens (19), Sprecher der LandesschülerInnen- Vertretung, hält das Duzen für "natürlicher". "Die Idee kam eigentlich aus der Betrachtung der Grundschule. Da duzen die Schüler ihre Lehrer heute", meint er. Dann folge der unnötige Wechsel zum "Sie" durch den Wechsel auf die weiter­führende Schule. Er manifestiere das "Machtgefälle" zwischen Lehrer und Schüler.

"Die Lehrer müssen in kurzer Zeit viel Wissen eintrichtern, und das geht nur mit krasser Disziplin. Daran wollen wir nicht rütteln", erklärt Martens. Aber: Die Schüler wollen ihre Lehrer künftig stärker in der Rolle als Lernbegleiter denn als Lernboss sehen. "Wir wollen, dass auf Augenhöhe kommuniziert wird."

"Sie" drückt Macht aus

Der Ruf nach dem "Du" liegt auch im veränderten familiären Umfeld der Kinder und Jugendlichen begründet. Die Schüler verbringen heute mehr Zeit mit ihren Lehrern als mit ihren Eltern. Trotzdem herrscht in der Schule Distanz. Inkonsequent, sagen die Schüler.

Ihre Forderung nach dem "Du" ist Teil ihrer Kritik an "zutiefst unde­mokratischen Strukturen" in den Schulen insgesamt. "In einem solchen Umfeld ist es unmöglich, Demokratie als Wert anstatt nur als theoretisch wahrgenommene Staatsform zu vermitteln", stellen sie fest. Wenn Schule selbst nicht demokratisch funktioniere, brauche sich auch niemand über Politikverdrossenheit oder niedrige Wahlbeteiligung zu wundern.

Von einer "Diktatur im Klassenzimmer" will Martens zwar nicht sprechen, aber: "Der Lehrkörper – auch so ein schöner Begriff – entschei­det nicht nur über den Lehrplan, sondern über alle Belange an der Schule."

Das fängt bei banal erscheinenden Entscheidungen an, welche Klas­senstufe auf welchen Pausenhof darf oder wie ein Gebäude gestrichen wird. "Kleine Dinge, aber das ergibt am Ende ein undemokratisches Gesamtklima." Deshalb fordern die Schüler, dass Instrumente wie Klas­senräte, Stufen- und Schulparlamente etabliert werden und die "Gesamt­konferenz", wo Schüler ein Rede-, aber kein Stimmrecht haben, ver­schwindet.

Philologe: Vertrautheit wird nur vorgespielt

Die Rechte von Schülern werden oft nicht umgesetzt, bestätigt auch die stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wis­senschaft, Sylvia Sund. Aber gerade deshalb hält sie das "Du" "in der jetzigen Situation nicht für mehrheitsfähig". Wenn es "üblich" wäre, könnte sie sich damit zwar anfreunden. Solange es kein demokratisches Miteinander gibt, sieht sie für das Vorhaben aber keine Chance.

Der Vorsitzende des Philologenverbandes Rheinland- Pfalz, Max Laveuve, glaubt nicht, "dass es vonseiten der Schüler wirklichen Bedarf zum Duzen gibt". Es würde seiner Ansicht nach eine Vertrautheit vorspie­len, "die es nicht wirklich gibt und die auch auf beiden Seiten von der großen Mehrheit nicht gewünscht ist". Für das Lehrer- Schüler- Verhältnis spiele die Anrede ohnehin keine große Rolle. "Man kann jemanden mögen, mit dem man per Sie ist, und mit jemandem gar nicht auskommen, obwohl man ihn duzt. Ganz wie im richtigen Leben", sagt Laveuve. Die Schüler sehen das anders – sie haben ihre Forderungen an Bildungsministerin Doris Ahnen geschickt.

Tradition der Obrigkeit

Schützenhilfe erhalten sie aus der Wissenschaft. Der ehemalige Direktor am Max- Planck- Institut für Bildungsforschung in Berlin, Professor Wolfgang Edelstein, lehnt das "institutionalisierte" Duzen zwar ebenfalls ab. Ein Demokratie- Defizit an Schulen sieht er aber auch. "Das Schulsystem ist in seiner Tradition obrigkeitsstaatlich. Schulen sind bis heute nicht auf Chancengleichheit, Bildungsgerechtigkeit oder die Rea­lisierung der Kinderrechte ausgerichtet", sagt Edelstein. Die Tradition habe dazu geführt, dass meist kein Gespräch über Unterrichtsinhalte oder andere wichtige Belange mit den Schülern zustande kommt.

Rena Lehmann

http://rhein-zeitung.de/on/08/05/01/rlp/r/regio-1.html?markup=duzen