Bildung: Gleiche Prüfung für alle? - Das Zentralabitur fällt im Land durch
Artikel im „Trierischen Volksfreund“ vom 30.07.2019
Trier/Mainz Ob Schüler, Lehrer oder Regierung: In Rheinland-Pfalz gibt es nur wenige Fans davon, überall die gleichen Prüfungen zu schreiben.
Von Florian Schlecht
Susanne Eisenmann hat sich als baden-württembergische Kultusministerin einen Namen gemacht, die 2021 für die CDU als Spitzenkandidatin im „Ländle“ antreten wird. Ihr Ruf nach einem Zentralabitur hallt aber bis nach Rheinland-Pfalz durch.
Geht es nach Eisenmann, sollen Schüler in den 16 Bundesländern die gleichen Abiturprüfungen schreiben, damit Noten vergleichbar sind. Bislang ist das nicht der Fall. Die Folge: Noten klaffen kräftig auseinander, wie Zahlen zeigen. Im Schuljahr 2016/17 schlossen Abiturienten in Thüringen mit einer durchschnittlichen Note von 2,18 ab, wo sie in Rheinland-Pfalz bei 2,49 landeten und in Niedersachsen bei 2,57. In Thüringen bekamen 2,6 Prozent aller Absolventen die für Studiengänge wie Medizin begehrte Traumnote 1,0, in Schleswig-Holstein bloß 0,8 Prozent.
Ungerecht finden das viele Kritiker, die meinen, dass das Abitur in manchen Bundesländern einfacher sei, was viele Schüler benachteilige. Den gemeinsamen Aufgabenpool mit einheitlichen Abi-Aufgaben in Mathe, Deutsch, Französisch und Englisch, den die Länder seit 2017 gemeinsam nutzen, betrachtet Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger als gescheitert, weil viele Länder die Aufgaben gar nicht einsetzten.
Ein Zentralabitur, wie es sich Meidinger schon ab dem Jahr 2025 vorstellen kann, stößt in Rheinland-Pfalz aber auf breiten Widerstand. Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) sagt, ein Zentralabitur konterkariere den Bildungsföderalismus. Helga Lerch, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Mainzer Landtag und selber jahrelang im Lehrerberuf tätig, betont: „Wenn ein großer internationaler Konflikt war, habe ich mit den Schülern in Sozialkunde darüber gesprochen, weil es sie bewegt hat. Wenn Lehrer aber strikt angehalten sind, auf ein Zentralabitur hinzuarbeiten, bleibt ein großes Stück Freiheit auf der Strecke.“ Daniel Köbler (Grüne) stimmt zu: „Die Tendenz, dass alle das gleiche Wissen auswendig lernen, würde sich verstärken“, moniert er. Und AfD-Fraktionsvize Joachim Paul fürchtet: „Bei einem Zentralabitur würden wir Gymnasien mit Spitzenleistungen konsequent abschaffen.“ Die Länder, warnt der Oppositionspolitiker, würden sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. „Es ist zu erwarten, dass sich die Kultusminister an Standards von Berlin und Bremen orientieren – nicht an Bayern.“ Noten-Ungerechtigkeiten bei der Hochschulbewerbung würde Paul durch „Eignungstests“ lösen lassen. CDU-Fraktionsvize Anke Beilstein fordert zunächst innerhalb von Rheinland-Pfalz mehr Vergleichbarkeit, da die wenigsten Abiturfragen landeseinheitlich gestellt würden. Vergleichbarkeit sei wichtig, wenn es um die Bewerbung um einen Studienplatz oder eine begehrte Lehrstelle geht, findet Beilstein. „Wenn in einer solchen Situation nicht garantiert werden kann, dass das Niveau des Abiturs in Rheinland-Pfalz gleich hoch ist, ist das ein schlechter Zustand.“
Bei den Eltern spricht Rainer Schladweiler von „geteilten Meinungen“, wenn es um das Zentralabitur geht. Der Regionalelternsprecher aus dem Raum Trier ist aber gegen das einheitliche Abi. „Wenn in Rheinland-Pfalz mehr Unterricht ausfällt als in Bayern, sind unsere Schüler doch klar im Nachteil, weil sie bis zu den Prüfungen weniger Stoff aufgenommen haben.“ Ein striktes Nein kommt von der Landesschülervertretung, die dennoch eine einschneidende Reform fordert. Lucas Fomsgaard schlägt vor, Abiprüfungen abzuschaffen, die „hohen Stress“ verursachten. Die Idee: Die Abi-Note solle sich aus dem Mittelwert der in der Oberstufe erbrachten Leistungen bilden. Noten, finden die Schüler, brauche es auf Dauer ohnehin nicht. „Sie werden oft zu willkürlich verteilt.“
Extra
Verband fordert mehr Vergleichbarkeit
(dpa/flor) Die Bundeschefin des Deutschen Philologenverbandes lehnt ein Zentralabitur ab und fordert stattdessen mehr Vergleichbarkeit der Leistungen vor den Abi-Prüfungen. Das „Skelett“ des Abiturs müsse in jedem Bundesland gleich sein, erklärte Susanne Lin-Klitzing.
Die Abiturnote bestehe nur zu 30 Prozent aus den Noten der Prüfungen, aber zu 70 Prozent aus den Noten der Kurse, die die Schüler vorher belegten. Deshalb muss nach Ansicht des Verbandes vor allem dort die Vergleichbarkeit erhöht werden. Der Verband fordert die Kultusministerkonferenz auf, diesbezüglich konsequentere Vereinbarungen zu treffen: Die Bundesländer sollten nicht wählen können, wie viele Kursnoten miteinfließen in die Abi-Note, sondern: „Exakt 40 Kursnoten aus der gesamten gymnasialen Oberstufe müssen in jedem Land in die Abiturwertung eingebracht werden!“
Die Verbandsvorsitzende, die heute zur 34. Hauptversammlung des Verbandes Deutscher Lehrer im Ausland in Trier ist, sagte auf TV-Anfrage: „Es ist falsch, sich bei den Abiturprüfungen auf drei Kernfächer zu fixieren. Es ist ein Fake, über diesen Weg eine bessere Vergleichbarkeit der Abiturnote verwirklichen zu wollen.“ Beim Zentralabitur steht der Vorschlag aus Baden-Württemberg im Raum, dieses zunächst in Kernfächern zu schreiben: Deutsch, Mathe und einer weiterführenden Fremdsprache. Lin-Klitzing fordert, dem gemeinsamen Aufgabenpool der Länder mehr Zeit zu geben und aus Fehlern zu lernen.
Bundesweit spricht sich dagegen eine deutliche Mehrheit für ein Zentralabitur aus. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Deutsche Presse-Agentur sprachen sich 80 Prozent der Befragten dafür aus, dass Abiturienten im ganzen Land einheitliche Prüfungen vorgelegt bekommen.